ie mittlerweile dritte Zusammenkunft stand unter dem Thema "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen" und widmete sich allen Arten von Grusel-, Geister- und Horrorgeschichten.
as darunter nicht nur klassische Literaturformen zu verstehen sind, wurde gleich zu Beginn klar: Auch die so genannten "Urban Legends", Inhalte aus medizinischen Lexika, Poesie, Nachrichten- und natürlich Liedertexte gehören zu den Stoffen, aus denen so manches Mal der kalte Schauer am Rücken gezimmert wird.
ährend des knapp zweistündigen Zusammensitzens genoss man Erzählungen von modernen Autoren wie Stephen King und Joe Lansdale, berührte kurz das Genre der englischen Geistergeschichten und Grimm'schen Märchen, widmete sich vertontem Grusel in Form von Tom Waits' "Black Rider" und ließ auch ausführliche Beschreibungen von Krankheiten wie Lepra und zahlreiche "Schock-Schlagzeilen" nicht außer Acht.
eben der gemeinsamen Konsumation des Vorgetragenen stand auch das persönliche Empfinden eines jeden Einzelnen im Mittelpunkt. Die Diskussionsrunde stellte sich zahlreiche Fragen, darunter zum Beispiel, was eine Gruselgeschichte überhaupt ausmache. Alsbald bildete sich eine Antwort heraus: Das Unvorhersehbare und Abstruse ist es, daß man nicht begreifen kann, was passiert, und was den eigentlichen Schauer auslöst. Eben diese Anhaltspunkte machten den Unterschied zu einem Thriller aus. Eine wirklich "reale" Bedrohung, wie einen bestialischer Killer, gibt es nicht. In einer gehaltvollen Gruselgeschichte wird kein Messer neben der blutverschmierten Leiche liegen, aber trotzdem ist der Körper tot.
esweiteren wurde die Frage aufgeworfen, was "schrecklicher" sei, das ausführliche Detail oder die "Psycho-Spielchen" des Autors mit dem Leser. So manch' einer mußte eine Weile grübeln, doch schließlich entschied sich fast jeder für die "verborgenen Geschehnisse" und offen gelassenen Szenerien. Sie regen die Phantasie an, die oft noch viel grauenhaftere Bilder zeichnet, als der Verfasser einer Geschichte es könnte.
m weiteren Verlauf des Abends wurde die Frage aufgeworfen, was der Unterschied zwischen alter und moderner Horrorliteratur ist. Als frühere Beispiele horribler Geschichten wurden vornehmlich Edgar Allen Poe und H.P. Lovecraft zitiert, deren Texte als "wortgewaltig" beschrieben wurden. Beide spielten mit Adjektiven, die teils blasphemisch, teils erotisch waren und allein durch ihr Auftreten eine gruselig beklemmende Stimmung vermitteln konnten; der Inhalt des Textes wurde durch sie hervorgehoben, unterstrichen.
n der modernen Horrorliteratur hingegen wird zumeist eine klare, oftmals sogar schnörkellose Sprache verwendet. Ausnahmeerscheinung ist hier Stephen King, der sich gern idyllischen Panoramablick- und Geruchsbeschreibungen hingibt. Eine seiner "Taktiken" ist es, nach einer fast belanglosen Erzählung, deren Inhalt oft pittoreske Alttagsszenen umfasst, ein schier unglaubliches Unglück hereinbrechen zu lassen. King spielt gern mit dem Gegensatz von Idylle und Horror und vermittelt damit seinem Connaisseur ein Bild von allgegenwärtigem Übel.
udem wurde im Vergleich von "alter und moderner Horrorliteratur" das veränderte Feindbild thematisiert. Grundsätzlich dreht und drehte es sich damals wie heute um das ewige Gefecht zwischen Gut und Böse - doch die Darstellung des Bösen hat sich verändert. Während es sich in früheren Zeiten vorwiegend um Vampire, Werwölfe und Geister handelte, so stehen heute groteske Monster, Aliens und Mutationen im Mittelpunkt. Man könnte es "die neue Angst" nennen, denn das Leben der Menschen von heute - geprägt durch die Medien - sieht sich anderen Gefahrquellen gegenüber als noch vor 100 Jahren. Spuk und Grusel sind in den Hintergrund getreten, Seuchen, "Frankensteinversuche" und außerirdische Lebensformen bestimmen die Szenerie.
och Unterschiede in puncto Feindbild hin oder her - was ist besonders wichtig für die Stimmung? Es sind, so war man sich schnell einig, wenig die "Schilderungen von Außen", die eines Dritten. Vielmehr macht die Ich-Perspektive den Schauer aus. Seine Gefühlsregungen und Ängste übertragen sich besser auf den Leser, sind verständiger und nachvollziehbarer, als so manche Zeichnung eines grauenhaften Wesens.
ußerdem stand zur Diskussion, warum seit Menschengedenken ein Faible für Grauen und Horror besteht. Schließlich wurde schon vor Jahrhunderten untereinander von grausigen Jagdszenen berichtet, verursachten Hinrichtungen Massenaufläufe und auch heute noch gehört die obligatorische Gruselgeschichte an jedes Lagerfeuer. Möglicherweise geht es in diesem Punkt um ein Lernen, um ein auf die Gefahr vorbereitet werden. Auch sind die Geschichten, die ihren Erzähler zweifellos zum Held werden lassen, Mut machend: "Schau, wenn er das überlebt hat, dann hätte ich es an seiner Stelle oder ich in einer ähnlichen Situation auch gekonnt." Zudem wird mit dieser Art der Kommunikation, dem Austausch von Grusel, ein menschliches Bedürfnis erfüllt: die Lust an der Angst. Die Geschichte ist ein Adrenalinkick, aber ohne Gefahr, die Realität ist das Netz, das den Zuhörer auffängt.